Was macht ein Texter, wenn er einmal nicht Websites, Folder, Claims etc. textet oder über Kampagnenideen brütet? Hier eine weiteres Beispiel dafür, dass sich auch Texter in der berufsbedingt typischen Kürze (2.500 Anschläge) Gedanken über Gott, die Welt und in diesem Fall über die zukünftigen Auswirkungen des Klimawandels in der Heimat machen.
Im Spätsommer 2031 weckte Andreas die Stille vor seinem spärlich gebuchten Hotel. Mit der Sorge um die Zukunft seines Hauses war er am Abend zuvor ins Bett gegangen. Träume von früher hatten ihn nur kurz von dieser Last befreit. Mit dem Aufwachen war die Schwere wieder zurück und machte ihm das Aufstehen zur Qual. Er schleppte sich zum Fenster und sah nach draußen. Alles so wie gestern. Das mediterrane Gelb der spätsommerlichen Wiesen, die kaum noch befahrene Bundesstraße durch das Gosautal, das verstreute Grün der letzten Bäume an den Berghängen, darüber das pausenlose Grau der ewigen Felsen. Was fehlte, war das Rauschen des Gosaubaches. Viele Jahrhunderte hatte er den Dachsteingletscher durch das Tal entwässert, 47 Jahre das Leben von Andreas mit seinem Geplauder begleitet, das zuletzt nur noch ein Flüstern war. Nun hatte sich der Bach über Nacht ganz verabschiedet (Später sollte Andreas erfahren, dass durch das schnelle Abschmelzen des Dachsteingletschers ein Riss im kleinen Rest des Eises entstanden war. Das Schmelzwasser nahm fortan seinen Weg nicht mehr über den Gosaubach, sondern suchte sich unterirdisch einen neuen. Forscher nennen dieses Phänomen Flusspiraterie).
Als er in den abgedunkelten Frühstücksraum hinunterging und dort den beinahe leeren Saftspender sah, bemerkte Andreas, dass mit dem Bach auch etwas in seinem Leben versiegt war. Er füllte einen Becher und legte dabei eine Hand auf das angenehm kühle, in Kondenswasser gehüllte Acrylglas. Das Pärchen aus Zimmer 121 hatte schon wieder seine Trinkflaschen mit Orangensaft aus dem Spender aufgefüllt. Sie waren bereits vor dem Morgengrauen zum Klettern, erzählten ihm die Frühstücksreste auf ihrem Tisch. Andreas verstand seine beiden Gäste. Denn das letzte Geschäft in Gosau hatte vor einem halben Jahr geschlossen. Und die mittlerweile überall im Tal vor sich hin brummenden Getränkeautomaten schieden nur Limonade und flügellahme Energydrinks aus. Gestern hatte er den beiden noch die Tour auf den Donnerkogel empfohlen. Von der Talstation der aufgelassenen Gosaukammbahn entlang der ehemaligen Skipiste hinauf bis zur Gablonzer Hütte, weiter zur freischwebende Himmelsleiter und dann auf den Donnerkogel. Früher stauten sich hier im Sommer jeden Tag die Kletterer. Nun wagten sich in der so heiß gewordenen Jahreszeit nur noch wenig hinauf. Wenn, dann vor Sonnenaufgang.
Andreas war einer der letzten Hoteliers im Tal. Das Haus eines ehemals bekannten Skirennläufers hatte schon im Jahr geschlossen, als die Bergbahnen ihren Betrieb einstellten. Das endgültige Aus für das Kinderhotel kam, nachdem fünf Kindern bei einem Ausflug mit einem Kidscoach unter einer Steinlawine gestorben waren. Die Hitze hatte die Großwand bröckeln lassen. Vor zwei Jahren im Frühling dann der große Brand, der einen großen Teil des Tals verwüstete. Für Andreas war sein Ende deshalb nur noch eine Frage der Zeit, das mit dem Austrocknen des Baches nun gekommen war.
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