Sehr vereinfacht gesagt sind Werbetexter bzw. Texterinnen ausgewiesene Spezialisten, die komplexe Sachverhalte möglichst nachvollziehbar strukturieren und prägnant formulieren können. Aber müssen sie deshalb auch über Spezialkenntnisse der jeweiligen Branche verfügen? Oder anders gefragt: Ist ein Texter mit etwas Abstand zum Unternehmen vielleicht sogar der bessere Texter?
Die Suche nach einem Texter bzw. Werbetexter erweist sich für Unternehmen meistens als risikobehaftetes Unterfangen. Daran gibt es nichts zu rtteln. Denn anders als z. B. in technischen Berufen gibt es in der Werbung im Allgemeinen und bei Werbetexten im Besonderen einen viel größeren Spielraum dafür, was gut oder weniger gut ist. Richtig oder falsch. Man könnte auch sagen: Eins plus eins ist nicht notwendigerweise immer zwei. Verschiedene Ergebnisse können richtig sein. Schon allein aus diesem Grund verstehe ich alle Verantwortlichen für Unternehmenskommunikation, die das Risiko minimieren wollen. Ein Mittel dazu sind Probetexte. Eine andere Strategie besteht darin, sich auf Empfehlungen anderer zu verlassen. So nach dem Motto „Ich kenne da jemanden.“ Eine weitere Herangehensweise besteht darin, von der Werbetexterin bzw. vom Texter spezielle Branchenkenntnisse zu verlangen. Das ist möglicherweise ein Vorteil, vielleicht aber auch nicht.
Genauigkeit ist noch lange keine Wahrheit
Tatsächlich kann man auch zu nah am Thema dran sein. Reden Sie doch einmal mit einem Tourismusdirektor über die Vorzüge seiner Region. Sie werden sich dafür sehr viel Zeit nehmen müssen. Oder bitten Sie einen hoch qualifizierten Techniker, die wichtigsten Kundenvorteile (s)eines Produktes in aller Kürze zusammenzufassen. Seine Begeisterung sowie seine Innensicht auf das Produkt werden vermutlich viele Seiten füllen. Seiten, die Kunden nicht lesen wollen bzw. nicht lesen können. Insofern hatte Henri Matisse schon recht, als er sagte, dass Genauigkeit noch lange nicht Wahrheit bedeutet. Zumindest nicht auf jener praktischen Vorteilsebene, die sich viele Kunde erwarten. Wo sie Zusammenhänge verstehen können, ohne fachliches Backgroundwissen haben zu müssen. Ganz zu schweigen von der emotionalen Ebene, auf der sich jeder Mensch ein Entgegenkommen und Abgeholtwerden erwartet.
Frischer Wind wird laues Lüftchen
Freiberufliche Texter mit speziellem Branchenwissen befinden sich natürlich bei Weitem nicht auf dem fachlichen Niveau eines Technikers oder in der emotionalen Befangenheit eines Tourismusdirektors. Dennoch kann ihr detailliertes Insider-Wissen den Blick von außen und damit auf das für die Kommunikation Wesentliche verstellen. In diese Falle tappen Texter auch dann, wenn sie hauptsächlich für ein und dasselbe Unternehmen arbeiten und trotz ihrer formalen Freiberuflichkeit quasi schon ein Teil der Belegschaft sind. In dieser Situation können die Kreativität, der Esprit und das Gefühl für Kundenbedürfnisse zugunsten einer nach innen gerichteten Wahrnehmung verloren gehen. Der frische Wind von draußen, den ein externer Texter üblicherweise bringt, verwandelt sich allzu schnell in ein laues Lüftchen. Was nicht heißen soll, dass völlige Branchen-Ahnungslosigkeit für einen Werbetexter ein Qualitätsmerkmal ist.
Ich persönlich habe in meiner mehr als 20-jährigen Zusammenarbeit mit Unternehmen aus verschiedensten Branchen folgende Erfahrungen gemacht:
- Das Einhalten eines gewissen Mindestabstands ist nicht erst seit Covid-19 ein Vorteil. Er garantiert die notwendige Gesamtsicht auf ein Unternehmen im Hinblick auf noch nicht identifizierte Kommunikationspotenziale.
- Das zweifellos notwendige Grundwissen über die jeweilige Branche bzw. den Betrieb kann sich ein schlauer Werbetexter in für beide Seiten praktikabler Geschwindigkeit aneignen.
- Umfassende Allgemeinbildung, eine Portion (Lebens-)Erfahrung sowie ein Leben am Puls der Zeit sind Grundvoraussetzung dafür, um Fakten gewichten, Relationen herstellen und punktgenaue Argumente für die Kommunikation nach außen entwickeln zu können.
- Kunden aus möglichst vielen Branchen halten einen Texter frisch und kreativ. Folglich kann eine langfristig erfolgreiche Zusammenarbeit mit einem Unternehmen gelingen, wenn dem Werbetexter genügend Zeit für einige andere, branchenfremde Kunden bleibt.